Interview: Spielgruppe für Scheidungskinder

 

„Bei uns bekommen Kinder wieder Boden unter den Füßen“

Scheiden tut weh – besonders den Kindern. Wenn Familien sich auflösen, fühlen sich Kinder oft schuldig, verunsichert und einsam. Sie können ihre Gefühle nicht immer verstehen und ausdrücken.
Silke Bittner und Johannes Schauer arbeiten als Ehe- und Familienberater bei pro familia München. Seit Herbst 2009 leiten die Sozialpädagogin und der Psychologe außerdem eine therapeutische Spielgruppe für Kinder aus Scheidungs- und Trennungsfamilien.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, eine Spielgruppe anzubieten?

Silke Bittner (SB): Die Zahl der Trennungen und Scheidungen nimmt in unserer Gesellschaft zu, und selbst kleine Kinder sind oft schon davon betroffen. In der Trennungsberatung hatten wir früher nur mit den Erwachsenen gearbeitet. In den letzten Jahren sind wir aber dazu übergegangen, die Kinder in diese Gespräche einzubeziehen. Weil so viele Kinder mit ähnlichen Problemen und Gefühlen auf die Trennung der Eltern reagieren, entschlossen wir uns, eine therapeutische Spielgruppe anzubieten, in der sie ihre Emotionen gemeinsam formulieren und bewältigen können. Wie wirkt sich die Trennung der Eltern auf die Kinder aus?

Johannes Schauer (JS): Paare im Trennungsprozess sind so mit den eigenen Kümmernissen beschäftigt, dass sie ihre Kinder oft zu wenig darüber informieren, was in der Familie vorgeht. Niemand fragt: „Wie geht es eigentlich dir?“ Die Kinder sind verunsichert, können aber ihre Gefühle nicht einordnen oder beschreiben. Sie möchten sich an die Situation anpassen und es den Eltern so einfach wie möglich machen. Dabei merken sie oft gar nicht, wie schlecht es ihnen selbst geht.

Wie wird ihnen in der Spielgruppe geholfen?

JS: Wir geben Kindern ein Umfeld, in dem sie ihre Erlebnisse in Worte fassen und mit denen anderer Kinder vergleichen können. So bekommen sie wieder Boden unter den Füßen.

SB: Wenn beispielsweise ein Kind erzählt, dass seine Eltern nicht mehr zusammen sind, melden sich nach und nach die anderen in der Gruppe und erzählen von sich. Sie sehen, dass es den anderen Kindern ähnlich geht, dass sie nicht allein sind, und vor allem, dass sie keine Schuld an der Scheidung der Eltern haben.

Wie kann man sich eine Stunde in der Spielgruppe vorstellen?

SB: Wir helfen den Kindern, die eigenen Gefühle wieder zu entdecken und auszudrücken. Das geschieht am besten durch spielen, basteln, malen, sprechen, durch fragen und gefragt werden. Wir spielen zum Beispiel ein Brettspiel, bei dem die Kinder Karten mit offenen Fragen über ihr Leben mit getrennten Eltern ziehen, die zum Erzählen anregen.

JS: Die Kinder merken schnell, dass sie sich hier frei und locker verhalten dürfen. Sie müssen sich nicht an Regeln halten wie in der Schule. Die Struktur ergibt sich durch die spielerischen Aktivitäten und ein bis zwei weiteren Themen, die wir mit den Kindern besprechen wollen. Nach und nach wünschen sich die Kinder auch ihre Lieblingsspiele und machen eigene Vorschläge.

Wie kommen Sie in Kontakt mit den Kindern?

SB: Durch unsere Paarberatung, aber auch über Schulen, kirchliche Einrichtungen und „Mundpropaganda“ unter den Eltern.

Wie wird das Angebot der Spielgruppe von den Eltern aufgenommen?

SB: Unterschiedlich – oft sind Kinder ein Streitpunkt im Trennungsverfahren und Mutter und Vater stimmen nicht überein, ob externe Hilfe nötig ist. Die meisten Eltern, vor allem die Mütter, freuen sich aber über das Angebot. Wir begleiten die Spielgruppe mit traditioneller Eltern-Kind-Beratung. Die Eltern werden nicht außen vor gelassen; sie können sich überzeugen, dass die Kinder positiv auf die Spielgruppe reagieren.

Welche positiven Entwicklungen können Sie bei den Kindern feststellen?

JS: Wir begleiten Kinder über den relativ kurzen Zeitraum von einigen Wochen. Dennoch haben uns schon viele Mütter erzählt, dass die Kinder hinterher viel offener und ausgeglichener wirken. Warum arbeiten Sie mit Kindern der Altersgruppe von sechs bis elf Jahren?

SB: Kinder diesen Alters sind in der Grundschule und können schon lesen, haben aber auch noch genug Zeit, teilzunehmen. Man könnte so eine Gruppe natürlich auch für andere Altersgruppen gestalten und das Konzept altersgerecht anpassen.

Können Sie eine Geschichte aus dem Spielgruppenalltag erzählen?

JS: Mir fällt da ein Junge ein, der beim ersten Treffen immer auf einem Stuhl saß, der wie ein Thron aussieht. Er hat sich einen Ort ausgesucht, wo er zur Geltung kommt. Sonst war er sehr still, hat aber die Gruppe genutzt, um sein Selbstwertgefühl enorm aufzubauen. Ein anderer Junge hat sich anfangs immer in den Vordergrund gedrängt und ist im Laufe der Gruppe sehr viel ruhiger und sicherer geworden. Er war jetzt in einem Umfeld, wo er Aufmerksamkeit bekam, wo andere sich für ihn interessierten. Wenn ein Kind von seiner Familie erzählt, dann stellen die anderen Fragen wie „Warum wohnt dein Papa noch bei euch, wenn deine Eltern getrennt sind?“ oder „Warum kommt dein Papa dich nie besuchen?“ So erfahren die Kinder vieles über mögliche Familienkonstellationen, die es gibt und können ihr eigenes Erleben im sozialen Kontext sehen.