Mitte April haben sich 100 zivilgesellschaftliche Organisationen, darunter der pro familia Bundesverband, an die EU-Regierungen gewandt. In einer gemeinsamen Erklärung drücken sie die Besorgnis darüber aus, dass es in vielen Ländern keine staatlichen Maßnahmen gibt, die einen sicheren und zeitnahen Zugang zu essenziellen Diensten, Produkten und Informationen der sexuellen und reproduktiven Gesundheit während der Pandemie gewährleisten. Es folgt die deutsche Übersetzung der Erklärung (leicht gekürzt).
„Frauen und Mädchen sind mit erheblichen Einschränkungen beim sicheren Zugang zu essenziellen sexuellen und reproduktiven Gesundheitsdiensten konfrontiert, insbesondere bei der zeitnahen Versorgung in Bezug auf Schwangerschaftsabbruch und die postkoitale Verhütung. Solche Einschränkungen haben vor allem auf marginalisierte Bevölkerungsgruppen unverhältnismäßig schwerwiegende Auswirkungen, zum Beispiel auf Frauen, die in Armut leben, Frauen mit Behinderungen, Roma-Frauen, Migrantinnen ohne Papiere, Jugendliche und Frauen, die von häuslicher und sexueller Gewalt bedroht oder betroffen sind. Diese Einschränkungen bergen außerdem unnötige Risiken für Frauen, Mädchen und ihre Familien sowie für die Anbieter von Gesundheitsdiensten, sich COVID-19 auszusetzen.
Besonders gravierende Barrieren entstehen für Frauen und Mädchen, die in europäischen Ländern leben, in denen Schwangerschaftsabbrüchen illegal oder der Zugang stark eingeschränkt ist, und die deshalb in andere Länder reisen müssen, um Zugang zu einem legalen Schwangerschaftsabbruch zu erhalten, oder sich aus dem Ausland das Mittel für den medikamentösen Schwangerschaftsabbruch besorgen müssen. Diese Probleme können auch in jenen europäischen Ländern auftreten, in denen die Betroffenen gezwungen sind, aufwändige oder unnötige Verwaltungsverfahren zu durchlaufen, um Zugang zum Schwangerschaftsabbruch zu erhalten, oder in denen sie möglicherweise Schwierigkeiten haben, Ärzt*innen zu finden, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen.
Wir zollen den Regierungen Beifall, die rasch gehandelt haben, um den Zugang zu zeitnaher sexueller und reproduktiver Gesundheitsversorgung in diesen Zeiten zu sichern insbesondere durch die Gewährleistung des Zugangs zur Telemedizin und zum frühen medizinischen Schwangerschaftsabbruch im Home-Use-Verfahren.
Wir rufen alle anderen europäischen Regierungen auf, diesem Beispiel zu folgen und den Instruktionen von medizinischen und öffentlichen Gesundheitsexperten zu folgen.
Wir fordern die sechs europäischen Länder, in denen der Schwangerschaftsabbruch illegal oder stark eingeschränkt ist, auf, die Gesetze, die die Gesundheit und das Leben von Frauen gefährden, dringend zu reformieren (Andorra, Liechtenstein, Malta, Monaco, Polen und San Marino). Reise-und Transportbeschränkungen verstärken nun die Auswirkungen dieser äußerst restriktiven Gesetze. Betroffene Schwangere in diesen Ländern können möglicherweise nicht mehr ins Ausland reisen oder Medikamente für den Schwangerschaftsabbruch von medizinischen Dienstleister*innen in anderen Ländern per Post per Post zugeschickt bekommen. Infolgedessen sind sie einem erhöhten Risiko für ihre Gesundheit und ihr Wohlbefinden ausgesetzt.
Wir fordern die Länder, in denen der Schwangerschaftsabbruch zwar legal aber nur mit Hürden zugänglich ist – darunter medizinisch unnötige Anforderungen, die die Frauen zu mehrfachen oder unnötigen Reisen zu Gesundheitseinrichtungen oder zu obligatorischen Krankenhausaufenthalten zwingen –, dazu auf, diese Hindernisse dringend zu beseitigen und den Zugang zu Dienstleistungen zu gewährleisten. Es sollten auch dringend Schritte unternommen werden, um sicherzustellen, dass die Verweigerung der Behandlung aufgrund der Verweigerung der Versorgung wegen privater Überzeugungen von Ärzt*innen nicht den zeitnahen Zugang zum Schwangerschaftsabbruch gefährdet.
In Übereinstimmung mit den Menschenrechtsverpflichtungen und den Empfehlungen medizinischer Expert*innen sollten die folgenden Maßnahmen ergriffen werden und zumindest für die Dauer der COVID-19-Pandemie in Kraft bleiben:
Schließlich fordern wir alle politischen Entscheidungsträger*innen in der gesamten europäischen Region auf, Vorschläge abzulehnen, die den Zugang zu einem sicheren Schwangerschaftsabbruch während der COVID-19-Pandemie beschränken wollen. Diese unlauteren Vorschläge dienen lediglich dazu, die gegenwärtige Krise der öffentlichen Gesundheit zu verschärfen und haben negative Auswirkungen auf die Gesundheit, das Leben und das Wohlergehen von Frauen und Mädchen.“
(Übersetzung: pro familia Bundesverband)