Veranstaltung mit Friedrich-Ebert Stiftung und Bildungszentrum Hospitalhof

Landender Storch auf Nest

 

Rund 100 Personen, zumeist aus der psychosozialen, psychologischen oder  ärztlichen Beratung, waren am 13.12.2017 zu dem Fachtag von pro familia Baden-Württemberg in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung und dem Evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof gekommen. Im Mittelpunkt des Diskurses standen der fachliche und politische Umgang mit den Entwicklungen in der Reproduktionsmedizin und damit verknüpfte ethische und gesellschaftliche Fragen.

Der Reproduktionsmediziner Prof. Franz Geisthövel führte in den aktuellen Stand der reproduktionsmedizinischen Verfahren ein, einschließlich der in Deutschland verbotenen, wie etwa die Eizellspende. Während er die bestehende Regelung in Deutschland verteidigte, weil sie aus seiner Sicht Frauen schütze, plädierte die Juristin Carina Dorneck vehement für ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz und eine Gleichbehandlung von Samen- und Eizellspende.  Da das Embryonenschutzgesetz von 1991, Rechtsgrundlage für die Reproduktionsmedizin in Deutschland, im Strafrecht angesiedelt sei,  könne es nur Verbote regeln. Es sei veraltet und belasse zu vieles in Grauzonen, so auch die Rechtslage für Berater*innen, wenn sich Frauen oder Paare mit Fragen zu in Deutschland nicht erlaubten Verfahren an sie wenden. Die Psychotherapeutin Prof. Heike Stammer, Gründungsmitglied des Beratungsnetzwerkes Kinderwunsch Deutschland (BKiD), warb in ihrem Vortrag für eine unabhängige begleitende psychosoziale Beratung von Kinderwunschpaaren möglichst schon ab Behandlungsbeginn. Nur die wenigsten Paare würden von den Reproduktionspraxen objektiv und realistisch über die (geringen) Chancen einer späten Mutterschaft aufgeklärt. Etwa die Hälfte der Paare  bleibe trotz größter medizinischer Anstrengung ohne Kind und in der Regel ohne Beratung zurück.

Brauchen wir neue Regelungen in Deutschland?

In der Diskussion wurden viele  offene Fragen deutlich: Sollen wir in Deutschland bei Verboten bleiben und den Reprotourismus ins Ausland ignorieren? Oder sollten in Deutschland Zugänge z.B. für Alleinerziehende und Homosexuelle erweitert und Verfahren erlaubt werden, um die  Bedingungen gestalten und kontrollieren und die Rechte aller Beteiligten wahren zu können? Sollte psychosoziale Beratung für Kinderwunschpaare verpflichtend werden? Während sich viele für eine Zulassung der Eizellspende und eine Regelung der Embryonenspende aussprachen, wurde die Leihmutterschaft weitestgehend abgelehnt.

Familienbild im Wandel

Der Kulturwissenschaftler Prof. Andreas Bernard widersprach  in seinem Vortrag der allgemeinen Auffassung, die moderne Reproduktionsmedizin habe die Familie „entkernt“. Er sieht sie eher gestärkt und neu entdeckt. In seinem kultur-historischen Rückblick machte er deutlich, wie jung die Idee des Primats der Blutsverwandtschaft und der bürgerlichen Kleinfamilie ist, sie kam erst Ende des 18ten Jahrhunderts auf. Sein Vortrag war der Auftakt für den öffentlichen Teil der Veranstaltung.

Gesellschaftlicher Diskurs ist notwendig

In der anschließenden Podiumsdiskussion beantwortete Luisa Boos, Generalsekretärin der SPD in Baden-Württemberg, die Aufforderung an die Politik, endlich regelnd tätig zu werden mit der Feststellung, dass für ein Fortpflanzungsmedizingesetz  erst ein gesellschaftlicher Konsens hergestellt werden müsse. Leichter sei es, über die Zulassung einzelner Verfahren zu debattieren.  Für die Ärztin und Psychotherapeutin Marion Janke, Geschäftsführerin von pro familia Stuttgart, verhindert  die Kriminalisierung von Verfahren wie der Eizellspende Offenheit und Auseinandersetzung. Sie vermisst eine Beratungskultur in Deutschland und plädierte für den Ausbau freiwilliger Beratungsangebote.

Prof. Dr. Franz Geisthövel: Was können und was dürfen wir? Güterabwägung: Aktueller Stand und Vergleiche zum Ausland

Prof. Dr. Franz Geisthövel am Rednerpult

Zusammenfassung:

Prof. Dr. Franz Geisthövel kündigt an, sich auf  nur einige wichtige Fragestellungen zu fokussieren und gibt zunächst einen Überblick über die Grundlagen der Befruchtung und die ersten Tage der Embryogenese, die er mit eindrucksvollen Bildern und Videos darstellt. Hierbei macht er deutlich, dass dem 2-Vorkern-Stadium, also der unter Befruchtung stehenden Eizelle ein besonderes Augenmerk gilt.  Dann folgt eine präzise Darstellung der in Deutschland üblichen Behandlungsmethoden der Reproduktionsmedizin. Es werden die Unterschiede zwischen intrauteriner Insemination (IUI) und den Therapieformen der In-Vitro-Fertilisation (IVF) mit oder ohne zur Hilfenahme der intracytoplasmatischen Spermieninjektion (ICSI) deutlich gemacht. Anschauliche Folien erleichtern den Einblick in die komplexen Behandlungsabläufe.

Insemination-Samenspende

Bei der Insemination werden die Möglichkeit der homologen und der heterologen Samenübertragung und die jeweiligen Indikationen hierfür gezeigt. Besonders hervorgehoben wird das Verbot einer Geschlechtswahl mittels Spermienauswahl, sowie bei Samenspende die Selektion des Spenders nach über die Grundkriterien hinausgehenden Kategorien (Schutz vor „Designer-Babies“). Die zu diesen Verfahren geltenden rechtlichen Bestimmungen erlauben laut Prof. Geisthövel gute Behandlungsoptionen für die Paare, allerdings liegen die gezeigten Geburtenraten nach IUI bei max. ca 10 %  pro Zyklus, so dass nach maximal 3 erfolglosen IUI Zyklen das weitere Vorgehen neu geplant werden sollte. Die heterologe Samenspende ist in Deutschland bei verheirateten und unverheirateten heterosexuellen Paaren und verheirateten lesbischen Paaren erlaubt, wobei aus infektionsprophylaktischen Gründen tiefgefrorener-aufgetauter Samen registrierter, anonymer Spender verwendet werden sollte. Das Recht des Kindes auf  Kenntnis der Abstammung wird sich zukünftig durch das im Juli 2018 in Kraft tretende Deutsche Samenspender Register verbessern. Insgesamt schätzt Prof. Geisthövel das aktuell geltende Regelwerk als ausgewogen, angemessen und modern ein: Änderungen sollten aus ethischen Gründen in Deutschland nicht in Frage kommen.

IVF Therapieformen

Indikationen und Behandlungsabläufe der verschiedenen IVF-Formen werden dargestellt und die in Deutschland praktizierte Auslegung des Embryonenschutzgesetzes erklärt, nach der nur eine sehr individualisierte Anzahl von befruchteten Eizellen weiter kultiviert wird  („Deutscher Mittelweg“ ). Auch ein daraus folgendes Tieffrieren von Embryonen aus Gründen des Lebens- und des Frauenschutzes wird in Deutschland durchgeführt.

Eizellspende

Die häufigste Indikation für eine Eizellspende ist das „Alter“ der Patientin. Für das in Deutschland verbotene Verfahren werden wichtige Argumente gegen dieses Verbot aufgezeigt, allerdings auch die Sinnhaftigkeit des Verbots diskutiert, das sich in der Einbettung in verschiedensten deutschen Gesetzen wiederfindet. Vor allem die Situation der Eizellspenderin finde deutlich zu wenig Beachtung. Prof. Geisthövel weist ausdrücklich darauf hin, dass die kommerzielle Eizellspende europaweit verboten sei, sich die meisten Staaten aber nicht an dieses Verbot hielten. Eine altruistische Eizellspende sei unter Umständen nach erfolgreichem Gerichtsverfahren in Deutschland denkbar. 

Embryonenspende

Die Embryonenspende ist in Deutschland möglich und medizinisch unkompliziert durchführbar. Der Verein Embryonenspende e.V. hat hierfür eine aufwändige Aufklärung und Dokumentation entwickelt. Aktuell wurden bislang 22 Kinder auf diesem Weg geboren, allerdings besteht nur eine geringe Spendenbereitschaft. Problematisch ist, ähnlich wie bei der Eizellspende, dass laut BGB §1591 („Mutter eines Kindes ist die Frau, die es geboren hat“) die Kenntnis der genetischen Abstammung von der Mutter im deutschen Recht nicht vorgesehen ist.

Was können und was dürfen wir?

Abschließend kommt Prof. Geisthövel zu der Einschätzung, dass ein vielerseits gefordertes neu zu verfassendes Gesetz im Sinne eines Fortpflanzungsmedizingesetzes seines Erachtens nicht notwendig und überaus schwierig zu verfassen ist, da die derzeit bestehenden Regelungen in einer Vielzahl von Gesetzen eingebettet sind. Das gesetzgeberische Netzwerk bietet eine angemessene, sehr differenziert ausbalancierte Güterabwägung bezüglich Kindeswohl, Wunschmutter, Wunschvater, Lebensschutz, Spenderin, Spender, Gesellschaft und Ärztin/Arzt. Die wesentlichen Dinge sind sinnvoll geregelt, das rechtliche Netzwerk ist flexibel und nur wenige offene Fragen befinden sich aktuell noch in gerichtlicher Abklärung. Insgesamt müsse die deutsche Gesetzgebung in der Reproduktionsmedizin den Vergleich zum Ausland nicht scheuen.

Dr. Regine Maier
pro familia Freiburg

Dr. des Carina Dorneck: Rechtliche Regelungen im Bereich der Reproduktionsmedizin. Brauchen wir ein neues Fortpflanzungsmedizingesetz?

Dr. Carina Dorneck am Rednerpult

Überblick über die Gesetzeslage

Zusammenfassung

Frau Dorneck stellt an ausgewählten Beispielen die ihrer Meinung nach unzureichenden rechtlichen Regelungen des Embryonen Schutzgesetzes (ESchG)  im Bereich der Reproduktionsmedizin dar. Die Kritik im Kern: Dieses Gesetz aus den 90er Jahren ist veraltet und lückenhaft und viele Stellungnahmen der med. Fachgesellschaften und Landesärztekammern greifen regelnd ein, haben aber keine Rechtsnormqualität.

Grauzonen durch fehlende Eindeutigkeit

Der § 1(ESchG) schreibt vor, dass nicht mehr als 3 Embryonen pro Zyklus einer Frau übertragen werden dürfen und nicht mehr Eizellen befruchtet werden dürfen als innerhalb eines Zyklus übertragen werden sollen. Durch juristische Interpretationen wurde eine „Grauzone“ geschaffen, die dazu führt, dass mehr Eizellen entnommen werden dürfen unter Voraussetzung des Ziels nur 3 Embryonen zu transferieren, d.h. das ESchG ist letztlich nicht eindeutig.

Das ESchG verbietet die Befruchtung einer Eizelle mit dem Samen eines Mannes nach dessen Tod (wegen der rechtlichen Folgen: Waisenrente? Erbrecht?). Das OLG Rostock interpretierte aber, dass imprägnierte Eizellen bei prämortaler Zustimmung des Mannes nicht unter dieses Verbot fallen, da bei diesen der Befruchtungsprozess nicht abgeschlossen sei, auch hier liegt eine „Grauzone“ der Gesetzesinterpretation vor.

Bei der heterologen Insemination unter Verwendung von Spendersamen liegt im ESchG keine Regelung vor, aber die Bundesärztekammer hat aber einschränkende Regelungen erlassen, diese werden zurzeit  überarbeitet. Das ab Mitte 2018 in Kraft tretende Samenregistergesetz dient dazu, den Auskunftsanspruch des Kindes auf Kenntnis seiner Abstammung zu sichern und den Samenspender von Ansprüchen im Bereich des Sorge-, Unterhalts- und Erbschaftsrechts freizustellen. Bei verheirateten „Empfängereltern“ ist der Ehemann rechtlicher Vater, bei unverheirateten ist eine Vaterschaftsanerkennung möglich.

Bei alleinstehenden Frauen oder lesbischen Paaren sieht das ESchG kein Verbot der heterologen Insemination vor. Bisher bestehen aber standesrechtliche Verbote der Bundes- und Landesärztekammern, diese werden zurzeit überarbeitet.

 Regelungen auf dem Prüfstand

Das Verbot der Eizellspende im deutschen ESchG wird mit der Gefährdung des Kindswohls, den gesundheitlichen Belastungen und dem Risiko der Eizellspenderin als „Rohstofflieferantin“ begründet. Andererseits besteht eine Vergleichbarkeit von Samen- und Eizellspende zum Beispiel mit einer Organ- oder Knochenmarkspende. Bei einem Kommerzialisierungsverbot erlaube die Eizellspende die Verwirklichung des Rechts auf reproduktive Selbstbestimmung und Familiengründung einer Frau ohne Kindeswohlgefährdung. Bei Sicherung des Auskunftsrechts des Kindes, Kommerzialisierungsverbot  und Altersbegrenzung erscheint Frau Dorneck eine Zulassung der Eizellspende bei Vorliegen einer medizinischen Indikation denkbar.

Auch die Spende von in vitro gezeugten Embryonen ist im ESchG nicht ausdrücklich verboten, die Zulässigkeit sei aber ebenfalls in der juristischen Gesamtschau des ESchG verboten. Die gegenwärtig von einigen IVF-Zentren angewandte Praxis zu Spende überzähliger Prä-/Embryonen an unfruchtbare Paare stelle nach - einer Entscheidung des AG Dillingen - eine Beihilfe zur missbräuchlichen Anwendung der Fortpflanzungstechniken dar. Auch zu diesem Punkt wären eindeutige rechtliche Regelungen notwendig.

Zum „Social Freezing“ (Vorsorgliche Entnahme und Einlagerung von Eizellen bei jungen Frauen zur späteren Verwendung) gibt es keine gesetzlichen Regelungen. Diese Methode gebe zwar der Frau mehr Freiheit in der Lebensplanung und Recht auf sexuelle/reproduktive Selbstbestimmung, mache aber später bei älteren Frauen (die bei einer Schwangerschaft meist höhere gesundheitliche Risiken haben) immer eine IVF notwendig. Der Freiheitsgewinn bezüglich des Konfliktes zwischen Karriere und Familiengründung sei aber eher illusorisch.

Die Leihmutterschaft ist in Deutschland durch das ESchG verboten. Nach deutschem Recht gilt die Leihmutter als rechtliche Mutter, die „Bestellmutter“ kann allein über eine in Deutschland anerkannte Adoption die soziale und anerkannte Mutter werden, eine Vaterschaft kann ggf. durch Vaterschaftstest begründet oder durch Adoption erreicht werden. Die Probleme sind auf allen Ebenen komplex, insbesondere besteht natürlich keine Garantie, dass das Paar das „Bestellkind“ bekommt.

Beratung erschwert

Da im Rahmen des „Reproduktionstourismus“ viele Paare ins Ausland fahren, um in Deutschland verbotene Behandlungen durchführen zu lassen, ist es von Bedeutung, dass sich behandelnde Ärzte strafbar machen, wenn sie hierbei in Deutschland mitwirken oder sogar mit einem ausländischen Zentrum kooperieren. Beraterinnen dürfen Paare über die medizinischen, sozialen und rechtlichen Probleme einer Behandlung informieren, sie dürfen aber keine gezielte Beratung durchführen oder gar Adressen von ausländischen Behandlungszentren weiter geben.  Die Frauen/Paare selbst machen sich durch eine Behandlung im Ausland nicht strafbar.

Frau Dorneck sieht wegen der zahlreichen „Grauzonen“, die sich aus dem alten ESchG ergeben, den seit den 90er Jahren zusätzlich möglichen Behandlungsmethoden und der liberalisierten Einstellung in der Bevölkerung dringenden Handlungsbedarf des Gesetzgebers und spricht sich – trotz aller politisch und ethisch kontroversen Diskussionen - für ein neu zu schaffendes Reproduktionsgesetz aus.

Dr. Helmut Heilbronner

Prof. Dr. Heike Stammer: Die große Verführung - alles ist möglich! Brauchen/ wünschen Paare eine unabhängige Beratung?

Prof. Dr. Heike Stammer am Rednerpult

Zusammenfassung:

 

Diese Frage wird von der Referentin Frau Prof. Dr. Heike Stammer schon am Anfang, nach drei exemplarischen Fallgeschichten aus der Fortpflanzungsmedizin, mit einem eindeutigen Ja beantwortet. Eine Begründung dafür ist, dass die immer vielfältiger werdenden reproduktions-medizinischen Techniken und Möglichkeiten (IVF; Embryonenspende, Social freezing; Samen -und Eizellspende, Leihmutterschaft) zwischenzeitlich bei den Kinderwunschpaaren dazu geführt haben, den optimalen Zeitpunkt für ein Kind selbst zu bestimmen und diesen häufig nach hinten verschieben. Je älter die Paare jedoch werden, umso geringer sind die Chancen, dass sich dieser Wunsch mit oder ohne medizinische Hilfe erfüllt.

Information und Unterstützung fehlen

Auf diese schlichte Erkenntnis werden allerdings nur die wenigstens Paare während Ihres Kinderwunsch-marathons aufmerksam gemacht. Das Wissen über die Chancen  einer späten Mutterschaft und die Risiken werden nur vereinzelt  in den Reprozentren und zumeist nur marginal und zu selten objektiv mit den Betroffenen besprochen. Das medizinisch Machbare („Behandlungsimperativ“)wird angepriesen und nicht selten werden Hoffnungen aufrecht erhalten , die es realistisch betrachtet für Paare Anfang 40 gar nicht mehr gibt. Etwa die Hälfte der Paare insgesamt bleibt trotz größter medizinscher Anstrengung ohne Kind und leider in der Regel ohne Beratung zurück. Heute weiß man, dass eine rechtzeitige Beschäftigung mit einem möglichen Misserfolg hilft, sich mit alternativen sinnvollen Lebensperspektiven auseinander zu setzen und depressive Verläufe zu vermeiden.

Vor diesem Hintergrund plädiert Frau Stammer für eine verpflichtende psychosoziale Beratung schon zu Behandlungsbeginn, damit sich die Paare frühzeitig realistisch und unabhängig auf die verschiedenen Szenarien einer Kinderwunschbehandlung (ein Leben mit und ohne Kind, )einstellen können. Dieser  ergebnisoffene Rahmen ist sinnvoll, da sonst Zweifel, Ängste und Sorgen im Verborgenen bleiben und nicht bearbeitet werden. Weiterhin folgert Frau Stammer aus ihren Forschungen und Erfahrungen, dass das Thema „Wann will ich Mutter werden, in der Sexualaufklärung aufgegriffen werden sollte. Denn immer mehr Frauen nehmen nicht mehr nur aus Infertilitätsgründen eine Kinderwunschtherapie in Anspruch, sondern wegen des „verlorenen Wettlaufs gegen die Zeit“. Am Ende des Vortrages steht noch  die Erkenntnis, dass viele Eltern nicht wissen, wie wichtig es ist, ihre Kinder über deren Herkunft aufzuklären oder es ihnen mitzuteilen schwerfällt. In diesem Zusammenhang kann Beratung informieren und einen hilfreichen Rahmen  bieten, die Ängste und Befürchtungen der Eltern zu verringern.

Frau Stammers Fazit ist somit, dass diesen oft verzweifelten Menschen ein qualifiziertes, unabhängiges und niederschwelliges Beratungsangebot zur Verfügung gestellt werden muss.

Bernhard Meyer
pro familia Freiburg

Prof. Dr. Andreas Bernard: Kinder machen - Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie

Prof. Dr. Andreas Bernard am Rednerpult

Aufsatz Andreas Bernard

Zusammenfassung:

 

Neue Familienkonstellationen stellen eine Herausforderung für die Gesellschaft dar. Prof. Dr. Andreas Bernard fragt aus der kulturhistorischen Perspektive: Woher kommt unser Unbehagen gegenüber den Verfahren der Reproduktionsmedizin und gegenüber „dritten Personen“ in der Familienkonstellation, wie z.B. Samenspendern, Eizellspenderinnen und Leihmüttern? Was hat sich im Laufe der Jahrhunderte in Bezug auf Familienmodelle, Rollenverteilung, Gewichtung der Rollen, insbesondere der Mutter, getan? Welche Mächte spielten hier eine Rolle?

Als Kulturhistoriker stellt er anhand von geschichtlichen Ereignissen verschiedene Thesen auf. Er bezieht sich dabei groß teils auf das Buch „Geschichte der Familie“ von Jack Goodie. Dieser beschreibt die Entwicklung von Familie in Europa von der Antike bis in die Neuzeit. Bernhard betrachtet das Modell der Kleinfamilie als „symbolische Waffe“ des Christentums gegen weit verstreute, mächtige Großfamilie und Sippen als Gebilde von verschiedensten Verwandtschaftskonstellationen. Die Kirchen hätten so an Macht und Reichtum gewonnen.  Im Zuge der Industrialisierung im 18. Jahrhundert beschreibt er auch auf Familienebene eine zunehmende Verdichtung in Form der bürgerlichen Kleinfamilie. Die Mutterschaft wird im gleiche Maße als höherwertig eingestuft- die Mutter wird das Zentrum der Familie glorifiziert. Bernhard beruft sich auf das Buch von Elisabeth Badinter „Mutterliebe“. Sie beobachtet darin die Entwicklung dieses Gefühls im Zeitraum vor 250 Jahren bis heute. Er zitiert auch Rousseau, der das Ideal der selbst stillenden Mutter stilisiert und das „Gift der fremden Milch“. Eine Parallel zu heute -  sehen wir in den fremden Genen das Gift – in der Leihmutter die pränatale Amme?

An der Figur der „Stiefmutter“ könne man seine Thesen sehr gut nachvollziehen. Sie steht für das Prinzip der Vernachlässigung. Früher war sie eher eine neutrale und wichtige Person in der Gesellschaft– schon allein wegen der allgemeinen Müttersterblichkeit. Gut zu beobachten ist der Bedeutungswandel in den Märchen der Gebrüder Grimm:  es ist eine Entwicklung über die verschiedenen Auflagen der Bücher von der “bösen Mutter“ zur  „Stiefmutter“ hin zu beobachten.

 Die Grundstimmung gegenüber der Reproduktionsmedizin war vor 12 Jahre noch überwiegend skeptisch, was sich an dem Begriff „Retortenbaby“, als etwas Künstliches, Fremdes, zeigen lässt. Diese Stimmung habe sich heute verändert, so Bernard. Er beobachte nun eine Art von „Aushöhlung der Kernfamilie“ im engeren Sinne. Die moderne Reproduktionsmedizin symbolisiere für ihn die Idee der „symbolischen Wiederaufrichtung der Familie“, die zuvor für tot erklärt wurde (David Cooper „Tod der Familie“ ,1973).  Als Meilensteine der Reproduktionsmedizin führt er die Gründung der 1. Samenbank in den USA (1971), die erste kommerzielle Leihmutter Elizabeth Kane (1976), sowie das erstes Retortenbaby Luise Brown (1978) an.

Dies alles habe zu der neobürgerliche Tendenz in den letzten Jahren geführt. US- Fernsehserien wie „Modern familiy“ (seit 2009) beschreiben das neue, modellhafte Familienbild mit Geschichten von Regenbogenfamilien. Der genetische Bruch in den Familien führe zu einer Übererfüllung des narrativen Elements, so Bernard. Man müsse sich quasi selbst „erfinden“, oder „designen“.

Susan Golombok (Universität Camebridge/UK) forscht zur Entwicklung der Kinder und der Kind-Elterninteraktion in neuen Familienkonstellationen. Sie hat erste Anhaltspunkte, dass es Kindern und Eltern in solchen Regenbogenfamilien genauso gut geht wie solchen in konventionellen Familien.

Gemäß Sigmund Freud (1898) wäre es ohnehin  „der größte Triumph der Menschheit … wenn es gelänge, den verantwortlichen Akt der Kinderzeugung zu einer willkürlichen und beabsichtigten Handlung zu erheben, und ihn von der Verquickung mit der notwendigen Befriedigung eines natürlichen Bedürfnisses loszulösen“. Dies gelänge der modernen Repromedizin. Aus Sicht der Psychoanalyse wäre damit ein Hauptauslöser neurotische Störungen getilgt. Wir befänden uns an einem Übergang von der Natur zur Kultur der Fortpflanzung.

 

In den letzten 30 Jahren ging die Künstlichkeit verloren: so benutze man seit den 90er Jahren den Terminus „Wunschkind“ anstelle „Retortenbaby“. Die Sehnsucht der Eltern ist in den Mittelpunkt gerückt. Der Kinderwunsch würde nun beinahe pathologisiert. Dahinter stecke das „Diktat der Fruchtbarkeit“- der Imperativ: Man kann was tun!  Dabei stünden jedoch der Macht des Willens die Gegebenheiten des Körpers gegenüber. Mit dem Schicksalsschlag von ungewollter Kinderlosigkeit kommen wir scheinbar nicht mehr klar. Alles wird jedoch begrenzt durch die finanziellen Möglichkeiten eines Paares auf dem Markt der Reproduktionsmedizin: Ohne Geld kein Kind.

Dr. Ariane Feurer
pro familia Tübingen

Podiumsdiskussion: Dürfen wir alles was wir wollen und wollen wir alles was wir dürfen?

Vortragende bei der Podiumsdiskussion

Zusammenfassung:

 

Prof. Dr. Bernard , Kulturwissenschaftler und Autor

Prof. Dr. Franz Geisthövel, Reproduktiosmediziner

Dr. des Carina Dorneck, Juristin

Dr. Marion Janke, Ärztin und Psychotherapeutin

Luisa Boos, Politikerin, Generalsekretärin der SPD in Baden-Württemberg

Moderation Prof. Dr. Ursula Weber, Duale Hochschule Stuttgart

 

Wenn der Begriff von Familie sich gesellschaftlich über die Jahrhunderte als wandlungsfähig erwiesen hat, warum sollte man das reproduktionsmedizinische Angebot nicht dem Markt überlassen, statt es streng zu reglementieren? Genau dies sei die momentane Situation, so die Einschätzung von Prof. Bernard. Wer genügend Geld habe, könne sich alle Verfahren leisten und sie im Ausland einkaufen.

Prof. Geisthövel verteidigte das Embryonenschutzgesetz und die in Deutschland geltenden Einschränkungen aus ethischen Überlegungen heraus als kluge Regelung, die durchaus Spielräume lasse und  nur richtig gelesen werden müsse. Anpassungen könnten vorgenommen werden, so etwa werde ab 1.7.2018 ein bundesweiteres Samenspende-Register eingeführt. Carina Dorneck hält dagegen eine Neuregelung durch ein Fortpflanzungsmedizingesetz für längst überfällig.  Nicht nur der Stand der Wissenschaft habe sich seit 1991 verändert, sondern auch gesellschaftliche Wertanschauungen. Die Politik drücke sich.

Luisa Boos wollte dies nicht stehen lassen und verwies auf den fehlenden gesellschaftlichen Konsens für eine grundsätzlich neue Regelung. Ob die Verwirklichung der eigenen sexuellen und reproduktiven Rechte auch den Zugriff auf Ressourcen von Dritten rechtfertige, sei sehr umstritten. Zu viele Güter  bis hin zu Fragen der Identitätsbildung seien berührt. Die Einschätzungen verliefen dabei nicht entlang von Parteigrenzen. Die bestehenden Regelungen könnten auch in Teilbereichen angepasst werden, wenn sich dafür Mehrheiten fänden.

Prof. Bernard lenkte den Blick auf die reproduktionsmedizinisch gezeugten Kinder. Sie würden oft nicht oder sehr spät aufgeklärt und könnten nichts über ihre genetische Herkunft erfahren, wenn sie mit Hilfe einer  anonymen Samen- oder Eizellspende im Ausland gezeugt wurden. Auch Marion Janke hält die Atmosphäre der Heimlichkeit, die aus der Kriminalisierung von Verfahren wie der Eizellspende resultiere, für ein großes Problem, vor allem für die betroffenen Familien. Wie solle man Kinder aufklären, wenn über ihrer Entstehung ein gesellschaftliches Tabu liege? Verfahren in Deutschland kontrolliert zuzulassen, würde Offenheit begünstigen und Kindern und Eltern enormen Druck nehmen. Sie sieht unabhängige Beratung von Kinderwunschpaaren als zentrale Anforderung, es gehe um informierte Entscheidungen. Dafür müsse das Angebot ausgebaut werden. Sie vermisst in Deutschland eine Beratungskultur: wer Beratung suche, setze sich hierzulande dem Verdacht aus, psychisch mindestens instabil zu sein.  Allerdings hielt sie nichts von einer Pflicht zur Beratung, die am Nachmittag Thema der Diskussion war.

Aus dem Publikum, das nicht nur aus den Teilnehmer*innen des Fachtags,  sondern auch aus weiteren Interessierten bestand, die die Abendveranstaltung unabhängig vom Fachtag besuchen konnten, wurden ergänzende  Aspekte angesprochen. Kritisiert wurde die gesellschaftliche Norm, die vorgebe, dass Kinder unbedingt dazu gehörten und ohne Kinder kein erfülltes Leben gelebt werden könne. Das sei falsch und schaffe Druck. Weiter wurde kritisiert, dass die in Deutschland bestehenden Regelungen so viele ausschlössen, etwa Alleinstehende und homosexuelle Paare. Hier herrsche in veraltetes Familienbild vor. Gleichzeitig wurden auch Stimmen laut, die nach der Richtung von Veränderungen fragten: Eine breite gesellschaftliche Diskussion könne auch zu weiteren Einschränkungen anstatt zu Öffnungen führen. Während die Zulassung der Eizellspende und die Regelung Embryonenadoption in den Beiträgen positiv bewertet wurden, zeigte sich großes Unbehagen und Ablehnung gegenüber der Zulassung der Leihmutterschaft.

Gudrun Christ

pro familia Baden-Württemberg