Es geht um die rechtliche Selbstbestimmung von trans*, inter* und nichtbinären Personen
Als führender Fachverband für Familienplanung, Sexualpädagogik und Sexualberatung in Deutschland tritt pro familia für das Recht aller Menschen auf eine selbstbestimmte Sexualität und Identität ein. Vor diesem Hintergrund unterstützt pro familia sexuelle und geschlechtliche Vielfalt und begrüßt das Vorhaben der Einführung eines Selbstbestimmungsgesetzes der Bundesregierung.
Seit mehr als zehn Jahren hat das Bundesverfassungsgericht eine Vielzahl der Regelungen des „Gesetzes über die Änderung der Vornamen und die Feststellung der Geschlechtszugehörigkeit in besonderen Fällen“ (Transsexuellengesetz – TSG) für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber wiederholt aufgefordert, entsprechende Korrekturen vorzunehmen. Mit dem Entwurf eines „Gesetzes über die Selbstbestimmung in Bezug auf den Geschlechtseintrag und zur Änderung weiterer Vorschriften“ (Selbstbestimmungsgesetz – SBGG) stellt sich die aktuelle Regierung nun dieser sowohl juristischen als auch gesellschaftspolitischen Herausforderung: Der Gesetzesentwurf soll an der Stelle der Vornamens- und Personenstandsänderung eine Abschaffung der strukturellen Diskriminierung und erheblichen Einschränkung des Zugangs von trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binär identifizierten Personen zu ihren Menschenrechten ermöglichen.
Geplante Verbesserungen sind zum Beispiel die Streichung einer verpflichtenden, kostspieligen psychologischen Begutachtung durch Dritte und der Wegfall eines ärztlichen Attests. Andererseits ist eine dreimonatige Wartefrist ab der Erklärung der Änderung des Geschlechtseintrags beim Standesamt bis zum Inkrafttreten vorgesehen. Dieser Punkt negiert die Tatsache, dass dem Wunsch nach Änderung des Geschlechtseintrags mehrjährige Coming-out-Prozesse vorangehen und stellt für intergeschlechtliche Menschen eine Verschlechterung der bisherigen Regelung ohne Wartefrist dar. Die Wartefrist ist somit eine unnötige Hürde auf dem Weg zum „Ziel des Gesetzes (…), das Recht jeder Person auf Achtung und respektvolle Behandlung in Bezug auf die Geschlechtsidentität zu verwirklichen“ (BMJ 09.05.2023).
Eine Verbesserung für nicht-binär identifizierte Menschen wiederum stellt die freie Namenswahl einzelner oder kombinierter Vornamen dar, die keine geschlechtszuweisende Eindeutigkeit aufweisen müssen. Andererseits blieb der Entwurf hinter einigen der im Juni 2022 veröffentlichten Eckpunkte zurück: Sowohl die angekündigten Anerkennungsleistungen für trans- und intergeschlechtliche Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind, fehlen noch vollständig. Und auch der angestrebte Ausbau von Beratungsangeboten erscheint noch unklar mangels einer finanziellen Sicherheit des Nationalen Aktionsplans zum Schutz und zur Akzeptanz von sexueller geschlechtlicher Vielfalt der Bundesregierung aktuell und in den folgenden Jahren.
Dr. Jann Schweitzer, stellvertretender Vorsitzender des pro familia Bundesverbands: „Wir brauchen ein Selbstbestimmungsgesetz, das diesen Namen wirklich verdient. Gut, dass Verbände mit umfangreicher Beratungspraxis und jahrzehntelanger Erfahrung mit trans-, intergeschlechtlichen und nicht-binär identifizierten minderjährigen sowie volljährigen Menschen ihre Expertisen zu den aktuellen Bedarfen in den Gesetzgebungsprozess einbringen können. Ihre Rückmeldungen werden zeigen, welche Vorhaben des Entwurfs einer respektvollen, tatsächlichen Selbstbestimmung entgegenstehen, und damit der parlamentarischen Diskussion wertvolle Impulse geben.“